Jörg Seidel

Jörg Seidel
Jörg Seidel
Seidel - dedications

Jörg Seidel, Geburtsjahr 1967, zählt zu den vielbeschäftigsten Jazzgitarristen in Deutschland: Konzerte im In- und Ausland als Gitarrist und Sänger, zahlreiche CD-Aufnahmen in verschiedenen Besetzungen, Unterricht und Workshops in Gitarristik und Gesang. Desweiteren kümmert er sich um die heimatliche Kulturszene.

Seine Stilistik basiert auf traditionellen Vorbildern wie Django Reinhardt und Barney Kessel, ist aber deutlich auf ein modernes Spielgefühl ausgelegt. In diesem Jahr hat er noch viel vor...

Jörg, wie kam es zu deiner Vorliebe für Archtop-Gitarren?

Meine erste E-Gitarre war eigenartigerweise eine Kopie einer Fender-Strat. Ich habe aber dann lange auf einer Macaferri-Kopie von Hense gespielt (Hatte ich von Schnecko Mettbach vom "Rigo Winterstein Quintett" gekauft). Daher war ich gewöhnt, eine dicke Gitarre im Arm zu haben, was meiner Körpergröße entgegenkam. Als ich dann wiederum zur E-Gitarre kam, lag es nahe, eine
Archtop zu spielen. Zu der Zeit höret ich dann auch viel Montgomery, Tal Farlow und Jimmy Raney - das hat sicher auch dazu beigetragen, mich für Archtops zu interessieren.

Welchen Stellenwert nehmen Archtops, gemessen an deinem gesamten öffentlichen Gitarrenspiel, ein?

Ich spiele ausschließlich auf solchen Gitarren

Welche Archtops besitzt du?

Ich habe eine Gibson "Byrdland", eine Fender "D´Aquisto" (die ich allerdings verkaufen möchte) und eine Ibanez "GB 20"

Welche davon ist dein Favorit im musikalischen Einsatz und warum?

Zur Zeit spiele ich nur auf der Ibanez "GB 20" - eine sensationelle Gitarre; gebaut aus edlen Hölzern, hervorragend bespielbar und Dank des Bartolini-Pick Up mit einem vollen und akustisch geprägten Ton ausgestattet.

Welche Saiten spielst du darauf?

Ich mache mir ehrlich gesagt nicht viel aus unterschiedlichen Saiten - eigentlich klingen alle ganz gut. Ich habe schon alles gespielt und nur wenig Unterschiede wahrgenommen. Meistens aber spiele ich die halbgeschliffenen Saiten von Thomastik.

Welchen Amp bevorzugst du im Livebetrieb für deinen Archtop-Sound?

Nachdem ich jahrelang Polytone gespielt habe, setze ich seit zwei Jahren den AER "Compact 60" ein. Der ist leicht, verfügt über genügend Effekte und dient mir auch als Gesangsverstärker. Und mit 60 W bringt der auch genügend Leistung.

Wie nimmst du deine Archtops für Aufnahmen im Studio gerne ab?

Im Studio verwende ich den DI-Ausgang des Verstärkers, was sich auch schon für Radio-Mitschnitte perfekt bewährt hat. Zusätzlich positioniere ich zwei Mikrophone an Korpus und Hals.

Welches ist die beste Archtop, die du je in der Hand hattest?

Das kann ich gar nicht sagen. Eigentlich ist die Ibanez die beste Gitarre, die ich je gespielt habe. Natürlich gibt es immer mal tolle Instrumente, die wunderschön aussehen und wahnsinnig klingen. Aber ich halte nicht viel davon, Mythen zu bilden und einem "Wahn" zu verfallen. Die beste Gitarre ist immer die, auf der man sich wohlfühlt. Der großartige Gitarrist Giorgio Crobu hat jahrelang auf einer billigen L5-Kopie von "Marathon" gespielt. Und er hat sensationell geklungen und war halt immer schon ein fantastischer Musiker - da hat die billige Gitarre nichts d´ran geändert.

Stimmt, der Sound kommt auf jeden Fall erst mal “aus den Fingern”. Ich kenne da auch genügend Beispiele. In dem Zusammenhang ist natürlich auch die musikalische Ausbildung sehr wichtig. Erzählst du uns etwas über deine?

Angefangen habe ich im Alter von 12 Jahren - da ging es aber mehr um "Lagerfeuer-Musik" a la Cat Stevens und John Denver. Nachdem ich Bireli Lagrene bei "Bio´s Bahnhof" gesehen hatte, war ich an dieser Art Musik interessiert. Meine Großmutter schenkte mir dann auch meine allerste Jazzplatte: "Routes to Django" von Bireli. Da habe ich dann die Rillen abgespielt. Dann folgten die ersten Platten von Django und die Auseinandersetzung mit der "Musik deutscher Zigeuner". Das waren einige Jahre - bis ich etwa 20 Jahre alt war.

Erst dann habe ich Namen, wie Wes Montgomery, George Benson und Tal Farlow gehört und mich damit befasst. 1990 bin ich dann als Teilnehmer zu einem Kurs von Karl Ratzer gefahren, dessen Platte "Happy Floating" ich zufällig kurz vorher erstanden hatte. Dort habe ich dann auch die ganzen "Kollegen" kennengelernt: David Plate, Nely Schmidkunz, Helmut Nieberle, Helmut Kagerer. Ich war dann von 1991 - 1994 im Rahmen desselben Kurses so eine Art Assistent von Karl; eigentlich war das meine Ausbildung. Ich habe noch einen Workshop bei Michael Sagmeister besucht - auch so 1991. Von Karl habe ich wirklich viel gelernt - ich würde schon sagen, dass sein Spiel, sein immenses Wissen über Musik mich
sehr beeinflusst haben, auch wenn man das in meinem Spiel nicht unbedingt heraushört.

Ich habe parallel als Veranstalter von Jazzkonzerten in Bremerhaven auch sehr viele Gitarristen hierher geholt und immer etwas davon profitiert. So hatte ich die Möglichkeit, mit sehr guten und bekannten Gitarristen persönlichen Kontakt zu haben: Attila Zoller, Giorgio Crobu, Karl Ratzer, Michael Sagmeister, Wolfgang Muthspiel, Larry Coryell, Bireli Lagrene, Armin Heitz, Babik Reinhardt, Romani Weiss, Helmut Nieberle, Helmut Kagerer, Lorenzo Petrocca - mit vielen verbindet mich bis heute ein freundschaftliches Gefühl.

Ansonsten habe ich schon immer so viel wie möglich gespielt und immer den musikalischen Austausch mit anderen gesucht - das hat meine Entwicklung sehr gefördert. Seit einigen Jahren unterrichte ich an der Universität Bremen sowie an der Musikhochschule Bremen in den Fächern Gitarre-Jazz, Gesang-Jazz und Jazz-Ensemble. Darüber hinaus bin ich häufig als Workshop-Dozent für Gitarre und Gesang in Deutschland und Österreich gebucht.

Du sagtest gerade, dass man Karl Ratzer nicht aus deinem Spiel heraushören kann. Was meinst du, hört man raus? Ich meine, Spuren von Django Reinhardt und Barney Kessel in deinem Spiel zu bemerken.

Barney Kessel hat mich immer beeindruckt, wenn es um Akkordsoli ging. Django war ja eigentlich mein Einstieg in den Jazz; den habe ich jahrelang nachgespielt, mitgesungen und auswendig gelernt - also von den beiden ist sicherlich etwas bei mir zu hören. Was die Akkorde und das Begleiten im Green´schen Sinne angeht, höre ich seit einigen Jahren auch sehr intensiv John Pizzarelli - da ist sicherlich auch etwas hängengeblieben.

Du bist neben Ali Claudi und Thorsten Goods einer der wenigen guten Jazz-Gitarristen in Deutschland, die auch noch gut singen. Wie kam es zu dieser Zweigleisigkeit? In deiner Homepage hast du auch das Wort "Sänger" gegenüber dem Wort "Gitarrist" hervorgehoben.

Ich habe immer schon gerne gesungen, aber lange Jahre nur nebenbei und auch, ohne mich wirklich um die Stimme zu kümmern. Ich habe aber insbesondere schon immer ein Faible für das Scatten gehabt und habe sehr viele Soli auf meinen Platten
und CD´s mitsingen können. Ich habe dann erst spät damit begonnen, mich darum zu kümmern, wie man die Stimme zum Klingen bringt, wie man singen sollte, um nicht heiser zu werden, wie eine "Stütze" funktioniert usw. .

Ich liebe schöne Texte und die alten Songs des "American Songbook" - meine Vorliebe aber gilt nach wie vor dem Improvisieren. Die Stimme zu einem gleichberechtigten Solo-Instrument zu machen, das war immer meine Absicht. Und
das ist mir gelungen. Mittlerweile habe ich Projekte, in denen ich vorwiegend singe: So war ich im Jahr 2000 als Gast des österreichischen Jazzposaunisten Erich Kleinschuster 14 Tage in Österreich als Sänger auf Tour. Dann bin ich häufiger Gast des sehr schönen Orchesters "Franz L.", das neben alten deutschen Schlagern der 30er und 40er Jahre (für die ich ebenfalls eine Schwäche habe) auch Titel von Al Martino, Dean Martin, Frank Sinatra usw. spielt. Dann habe ich gemeinsam mit der wunderbaren Jazzsängerin Silvia Droste ein Projekt, das sich "Two of a kind" nennt - eine sehr unterhaltsame Mischung aus Duetten und Solo-Features. Wenn ich nicht selber singe, dann begleite ich gerne Sänger und arbeite regelmäßig mit u.a. Bill Ramsey, der Wiener Sängerin Ines Reiger oder der rumänischen Jazzsängerin Anca Parghel. Das Singen nimmt in meinem musikalischen Schaffen mittlerweile einen sehr großen Raum ein.

Du hast gerade aktuell mit dem European Swing Trio eine neue CD herausgebracht: “dedications”. Da habt ihr im Studio nur Stücke aufgenommen, die ihr noch nie zusammen gespielt hattet. Wie kam es zu einem solchen Konzept?

Bei der ersten CD hatten wir uns ja vorher noch gar nicht gesehen, das heißt: Hajo und ich hatten ein paar Konzerte im Duo - Jean-Louis kannte ich natürlich, war ihm aber noch nie begegnet, geschweige denn, dass wir miteinander Musiziert hätten. Wir haben also vorher Titel ausgewählt und die Noten gegenseitig zugesandt, so dass sich jeder ein wenig vorbereiten konnte. Und dann ging es los - es war aber éine derart gute menschliche Kombination, dass die Grundstimmung für derartige Experimente geschaffen war. Jeder war bemüht, das Trio gut klingen zu lassen. Nun hatten wir zwei Jahre lang dieses Programm live gespielt - es war also an der Zeit, etwas neues ins Programm aufzunehmen. Wir wollten aber parallel dazu die CD haben - und nicht erst lange spielen und dann spät hinterher die Platte präsentieren. Also blieb uns gar nichts anderes übrig, als wiederum so zu verfahren: Bis auf zwei Titel hatten wir noch nichts jemals vorher gespielt - aber es war
wiederum eine sehr entspannte und kreative Atmosphäre; dann kann so etwas gut funktionieren.

Du hast dich in der Vergangenheit als fleißiger "Recording-Artist" erwiesen. Welche Pläne hast du für die Zukunft?

In diesem Jahr stehen noch diverse CD-Aufnahmen an. Zunächst gehe ich mit meinem “Jörg Seidel Swing Trio” (Joe Dinkelbach-Piano/Gerold Donker-Kontrabass) ins Studio. Wir werden eine Swing-Platte mit deutschen Texten aufnehmen - es gibt eine ganze Reihe wunderbarer Übersetzungen von Cole Porter-Songs und weiteren Standards. Im Oktober wird in ähnlicher Besetzung (mit Achim Kück am Piano) eine CD aufgenommen, bei der wir die sensationelle Sängerin Anca Parghel aus Rumänien vorstellen. Es wird ein Standard-Album mit viel Scat-Gesang. Im November bin ich dann wieder mit meiner Standard-Besetzung unterwegs. Wir werden in Wien mit der Wiener Jazzsängerin Ines Reiger zwei Tage im "Jazzland" spielen und ebenfalls eine CD aufnehmen. Ich persönlich würde gerne noch eine Orgeltrio-Platte machen mit Erwin Schmidt (Wien) an der Hammondorgel und Joris Dudli (Wien) am Schlagzeug. Da muss ich aber mal sehen, was mein Budget noch hergibt. Außerdem würde ich sehr gerne noch eine CD mit Silvia Droste produzieren - das wird wohl erst 2006 etwas.

(15.06.2005)

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