Schertler David

1. Das Dilemma der Verstärkung eines akustischen Instruments und seine Überwindung

Die „naturgetreue“ Verstärkung einer akustischen Archtop-Gitarre, wie sie Jazz-Gitarristen gerne spielen ist eine große Herausforderung. Im Gegensatz zu elektrischen Jazzgitarren mit ihren Humbucker-Pickups, die im Prinzip nur die Saitenschwingungen in elektrische Ströme verwandeln erwarten anspruchsvolle Jazz-Spieler von einer bühnentauglichen Verstärkung ihres akustischen Instruments, dass es die ganze Komplexität des Klangs und die Individualität des Instruments wiedergeben (und nicht nur die Differenz zwischen einer typischen Ahorn- und einer Fichtendecke...).

Die bezeichnete Problematik wird oft und gerne außchließlich unter dem Aspekt der verwendeten Verstärkertechnologie diskutiert: es gibt dann die Fraktion, die auf die Wärme und den Edelklang von guten Röhrenverstärkern baut und diejenige, die Transparenz und Klangtreue eines Solid State Aplifiers mit Transistortechnologie bevorzugen. Dabei wird oft vergessen, dass sich exzellente Produkte beider Philosophien im Ergebnis ziemlich ähnlich sind. Dazu kommt, dass viel von den verwendeten Pickups abhängig ist: wird ein Floating-Neck-Pickup wie der Gibson „Johnny Smith“ verwendet? oder ein De’Armond Rhythm Chief 1000 oder 1100? oder gar ein Kondensator-Mikrofon?

Als Referenz für unseren Test der neuesten Errungenschaft auf dem Markt des Studio-Equipments dienten die folgenden Geräte: ein Paul Rivera Röhrenverstärker M-60 und ein Polytone Mini-Brute Mark II (bzw. Baby-Taurus). Die zweitgenannten Transistorverstärker sind wohlbekannt und brauchen nicht näher eingeführt zu werden (ich spiele meist mit einem vorgeschalteten professionellen Compressor aus den 70er Jahren, dem „mxr limiter“). Der erste ist im Wesentlichen ein handverkabelter und handverlöteter zweikanaliger Röhrenverstärker vom Klang-Typ eines Fender (ich spiele meist mit einem eingeschlauften Röhren-Compressor, dem „ART-levelar“, einem Personal Processor mit Vactrol-Gate von Applied Research and Technology); Paul Rivera war denn auch der verantwortliche Ingenieur beispielsweise für den Fender Twin-Reverb und hat später seine eigene handgefertigte Luxus-Marke begründet (vielleicht bekannter ist der Rivera R-55 112 oder 212, der Nachfolger des M-60; siehe www.rivera.com). Ausser Konkurenz gewissermaßen wurde noch ein überaus neutraler Akustik-Verstärker von Marshall, der Acoustic Soloist 80 Reverb hinzugezogen. Damit ist das Maß unglaublich hoch angesetzt!

Unter der Voraussetzung, dass man sich auf ein neues klangliches Abenteuer einzulassen bereit ist, traut man seinen eigenen Ohren nicht, wenn man zum ersten Mal sein bestes akustisches Instrument mit Schertler Equipment verstärkt hört: es ist wie wenn man alles hörte, wovon man wusste, dass es als Potenzial im Instrument angelegt ist...

2. Die Philosophie des Schertler dynamischen Transducer und des „DAVID“ Verstärkers

Das Schertler-System hat in jeder Hinsicht mehr gemeinsam mit Studio-Technik denn mit herkömmlicher Gitarrenverstärkung und hat sich denn auch und bis jetzt vor allem in Tonstudios als Tonwandler einzelner Instrumente zur Gewinnung einer authentischen Balance zwischen den einzelnen Orchester-Gruppen bewährt (vgl. zum Nachfolgenden die Site von www.schertler.com).

Die Philosophie der Schertler Tranducer und Verstärker hat sich an den Streichinstrumenten orientiert und wurde ausgehend vom Kontrabass mit dessen spezifischen Problemen entwickelt. Gewissermaßen die Bewährungsprobe hat das Schertler-System allerdings bei den Tücken der Verstärkung einer akustischen Archtop-Jazzgitarre zu bestehen. Der Grundstein des Unternehmens ist das Bekenntnis, dass nicht die relativ einfachen Schwingungen der Saiten, sondern der komplexe Reichtum des Resonanzkörpers die Individualität eines Instruments ausmacht und infolgedessen nach einer adäquaten Möglichkeit der Verstärkung fragt. Folgerichtig wird bei der Umsetzung des Signals denn nicht auf irgendeine klangliche Charakteristik eines bestimmten Verstärkers gesetzt (wie es die Modelling-Amps tun), sondern ein absolut linearer Amplitudengewinn angestrebt. So lehnen sich denn die Schertler-Verstärker eher an hochkarätigen Studio-Monitoren und professioneller High Fidelty Technik sowie an anspruchsvollen PA-Systemen an.

Das Ergebnis überzeugt: der vom Schertler-Tonabnehmer zusammen mit dem entsprechenden Verstärker-System reproduzierte Klang ist transparent und doch sehr seidig-edel, modulationsfähig d.h. reich an Binnen-Differenzierungen, mit einer überragenden Auflösung auch von komplexen Akkordstrukturen, hebt sehr instrumentenspezifisch die Persönlichkeit der jeweiligen Gitarre hervor und mit einem Einschwingverhalten, das jeden Ton trocken, knackig und spröde ansprechen lässt. Bei diesem Erlebnis fallen einen regelrecht die Schuppen von den Ohren! Und man lernt die Qualitäten seiner geliebten Instrumente ganz neu kennen und schätzen... Mischt man dem rein akustisch auf dem Weg der Reproduktion der Korpus-Schwingungen gewonnenen Signal mit Fingerspitzengefühl noch einen Schuss vom Saft beispielsweise eines Johnny Smith Floating-Neck-Pickup dazu, dann hat man den Traum-Sound ad libitum!

3. Die technische Ausstattung des „DAVID“ und des „DYN-G“

Technisch gesprochen ist der Akustik-Verstärker von Schertler mit zwei umschaltbaren Eingangskanälen ausgerüstet, bi-amplified mittels bi-polaren Transistoren, verfügt über ein sehr charakteristisches Reverb für beide Kanäle, wird von traditionellen Ringtransformatoren netzgespiesen und liefert insgesamt 80 Watt (siehe die technischen Daten im Manual:
www.schertler.com/images/prodotti/Active_Loudspeakers_Amplifiers/david/manual.pdf).

Von den Vorverstärkern zu den Lautsprechern wurden alle Komponenten für ihre natürliche und sorgfältige Reaktion ausgewählt. Zwei Leistungsverstärker liefern mit einer aktiven Frequenzweiche 50 Watt an den 6” Basslautsprecher und 30 Watt an den 1” Hochtonlautsprecher. Das Ergebnis ist samtweich, klare Harmonien mit kontrollierten, starken Niedrigfrequenzen (runter bis zu 40 Herz). Die Biamplifikationstechnologie erzeugt einen sehr transparenten Sound genauso wie sie durch angemessene Kombination von Verstärkern und Lautsprechern maximale Effizienz liefert. Zusätzlich hat jeder Leistungsverstärker für einen sicheren Lautsprecherschutz einen Amplitudenbegrenzer. Die Verstärker werden mit bipolaren Transistoren gebaut und werden von einem traditionellen, robusten Netzgerät mit Strom versorgt (Ringtransformatoren). Die innovativen KLASSE A Schaltungen und die analog eingebaute Nachhallfeder sorgen für den warmen, glatten und musikalischen Sound, nach dem Spieler von Akustikinstrumenten gesucht haben.

Bei den Regelungsmöglichkeiten ist die Abschwächung der Eigenfrequenz des Instrumentenkörpers (180 Herz), die Ausblendung der tiefen Frequenzen zugunsten eines Basshorns sowie – zusätzlich zu einem 3-Band Equilizer – die Wahl der Klangtemperatur hervorzuheben („warm“ entspricht etwa dem dreistufigen Regler der Polytone-Verstärker, „Brite-(neutral)-Dark“). Selbstverständlich gibt es auch einen Stereo-Jack für Send und Return, wo typischerweise ein Kompressor eingeschlauft werden kann. Der Combo ist ganze 30 mal 34 mal 25 cm klein und ganze 9 kg leicht (das Gehäuse besteht aus Schichtholz mit einer aufgerauhten, anthrazit-grauen Oberflächenbehandlung):

Die Membranen für die Lautsprecher (ein 6’’ Woofer und ein Tweeter) fertigt Schertler in Partnerschaft mit SR Technologies und werden von einem massiven schwarzen Gitter geschützt. Selbstverständlich gibt es auch einen balanced Line-Ausgang, der zum Zweck von Aufnahmen direkt an ein Mischpult angeschlossen werden kann.

Voraussetzung für die Entfaltung all der Qualitäten des DAVID-Verstärkers ist, dass man das genau darauf abgestimmte dynamische Pickup für Gitarre benutzt: DYN-G ebenfalls von Schertler (historisch war die Abstimmung umgekehrt...). Dabei handelt es sich um einen direkt auf der Decke des akustischen Instruments (es gibt sie auch für Konzertflügel, Kontrabass, Violoncello, Violine, Mandoline usw.) aufgebrachten Tonabnehmer mit einer weltweit patentierten, eigenen Technik: schallisoliert von der Umgebung schwingt eine Membrane in genauer Entsprechung mit den Schwingungen der Instrumentendecke, deren Bewegungen in einem schwachen Magnetfeld dynamisch in elektrische Ströme umgewandelt werden und über Neutrik-Kabel mit XLR-Steckern weggeführt werden (für die technischen Daten siehe das Manual:
http://www.schertler.com/images/prodotti/Pickups/6_for_guitar/DYN-G/dyng-manual.pdf). Eine denkbar einfache, aber geniale Konstruktion mit einem sensationellen Ergebnis!

Beim Tonabnehmer handelt es sich um einen dynamischen Wandler, der mit einem Spezialkitt unmittelbar auf der Decke der akustischen Gitarre befestigt wird. Präzise in seinem Klang liefert
 er ein außergewöhnlich transparentes Bild mit klar konturierten Bässen und transparenten Höhen. Anstelle des für klassisch-spanische Gitarre und für Country-Style und Fingerstyle-Gitarre entwickelten DYN-G lässt sich alternativ auch der für Cello entwickelte DYN-C verwenden. Der Vorteil insbesondere für 7-saitige Jazzgitarren ist, dass das Frequenzspektrum bis 40 Hz hinunter reicht und dass eine ausgeklügelte Stecker-Buchsen-Kombination am Tailpiece der Archtop befestigt werden kann. Der erkaufte Nachteil ist, dass die Empfindlichkeit schlechter ist, was jedoch mit einem qualitativ guten Vorverstärker wettzumachen ist (auch dafür bietet Schertler zwei Produkte an).”

4. Modularität auf der Bühne: „UNICO“, PUB und BASS

Es mag sein, dass die 80 Watt und 2 Kanäle des DAVID für den einen oder anderen auf der Bühne nicht genug sind: subjektiv empfindet man den DAVID nicht so laut wie beispielsweise einen gleichstarken Polytone Baby-Taurus, weil die Kraft in vollendeter Transparenz aufgelöst wird. Für diesen Fall ist das Schertler Equipment modular aufgebaut: wer einen SIDE-Monitor anschließt, gewinnt 185 Watt oder wer gerne akzentuiertere Bässe möchte, kann eine aktive BASS-Extension mit 200 Watt anschließen. Es gibt auch eigentliche PA-Beschallungs-Systeme, die sich mit den Schertler Tonabnehmern kombinieren lassen, und zwar in zwei Dimensionen, 280 Watt oder 380 Watt. Schließlich gibt es mit ähnlich überzeugenden Charakteristiken wie denjenigen des DAVID einen regelrechten „Goliath“, den UNICO mit 180 Watt und 4 Eingangs-Kanälen, der eigentlich historisch der frühere von Schertler gebaute Verstärker war (die Dimensionen sind 17 mal 39 mal 24 cm und das Gerät wiegt 15 kg; für weitere technische Daten siehe das Manual:
http://www.schertler.com/images/prodotti/Active_Loudspeakers_Amplifiers/unico/ma nual.pdf).

Als Zubehör gibt es ein ganzes Programm bestehend aus Ständern, Volumenpedal und nicht zuletzt eine praktische Tragetasche aus
 dick gefüttertem Nylon.

5. Fazit: Die ultimative Kombination der Wärme eines Röhrenverstärkers mit der Transparenz eines Solid State Amplifier

Die Verbindung des dynamischen Transducer für Gitarre (oder Cello) und einem der beiden Schertler Verstärker löst das Dilemma der Spieler der akustischen Jazzgitarre so, dass aus beiden Welten – derjenigen der Röhren- und derjenigen der Transistor-Technologie – das beste kombiniert wird: der Gesamtklang ist weich und edel wie ein Tube Amp, aber transparent auflösend und klanggetreu wie ein Solid State Amp! Es lohnt sich in jedem Fall, das existenzielle Erlebnis eines Probespiels zu wagen... auf die Gefahr hin, dass man fortan über den Fronten und Parteiungen steht!

Die Firma Schertler mit Sitz in Mendrisio im Tessin (Schweiz) fertigt das Equipment in kleinen Serien an. Entsprechend sind die Preise stattlich, aber für den professionellen Einsatz doch gerechtfertigt: 735.00 CHF für DYN-G (bzw. 865.00 CHF für den DYN-C) und 725.00 EURO für den DAVID (bzw. 844.00 EURO für den UNICO). Der Vertrieb ist den Musikalienhändlern überlassen (Generalimporteur für die Bundesrepublik Deutschland ist ProArte, Kappellenweg 6, D-97268 Kirchheim, Phone +49 9366 90650, proartek(at)aol.com, www.pro-arte-acoustics.de); es gibt jedoch mittlerweile auch auf dem Internet präsente Discounter als Bezugsquellen, die Produkte von Schertler mit einigem Rabatt weitervermitteln.

von: Michael W. Hebeisen, Biel (Schweiz), den 20. Juni 2005