Havelstar 7027

Kein Amp von der Stange

Viele meiner Archtopkollegen lassen sich gemäß ihren individuellen Bedürfnissen Instrumente bei den besten Gitarrenbauern auf den Leib schneidern, benutzen jedoch Verstärker von der Stange die nicht auf die speziellen Bedürfnisse von Jazzgitarristen abgestimmt sind. Die Ampbauer Thomas Reussenzehn oder Thomas Carlitz stellen da willkommene Ausnahmen dar, da ihre Verstärker nicht bzw. nicht nur für Strat, Tele und Les Paul Gitarren und für verzerrte oder angezerrte Sounds ausgelegt sind. Bei einer wachsenden Zahl hochqualifizierter Ampbauer hier zu Lande stellt sich zurecht die Frage warum nicht mehr Jazzer sich einen auf ihre Bedürfnisse abgestimmten Verstärker bauen lassen.

Der Weg zu Andreas Vock und seinen Havelstar Verstärkern

Der Weg zu Andreas Vock führte mich über einen anderen exquisiten Ampbauer, nämlich Larry Grohmann. Bei der Restauration meines alten Fender Pro Reverbs konnte ich mich einen Nachmittag lang in Larrys Wohnzimmerwerkstatt davon überzeugen, dass NOS (New Old Stock) Röhren tatsächlich zumindest in der Vorstufe einen erheblichen positiven Einfluss auf den Klang nehmen. Auf die von mir meistgeschätzten und zudem noch bezahlbaren Röhren vom Typ E83CC aus alter Tesla Produktion möchte ich seither nicht verzichten und so habe ich nach und nach alle meine Verstärker damit bestückt. Die Zunehmens schwindenden NOS Bestände berühmter Röhren von General Electric, RCA, Ken Rad, Sylvania, etc. und die aktuell hohe Nachfrage nach diesen Röhren führt dazu, dass man ein kleines Vermögen ausgeben muss, will man seinen Verstärker mit den edlen NOS Fabrikaten ausstatten. Die immens hohen bzw. überhöhten Preise betreffen allerdings nur diejenigen Röhrentypen, die man üblicherweise in Fender (ab der späten Tweed Ära), Marshall, Vox, etc. Verstärkern findet. In der Vorstufe sind das meist Ecc83/12ax7 und Ecc81/12at7 Röhren. Greift man jedoch auf andere NOS Ware zurück, also zum Beispiel auf Stahlröhren vom Typ 6N7,6C5 oder 6J5 wie sie in alten Gibson oder Fender Verstärkern zu Beginn der Tweed Phase benutzt wurden, bekommt man NOS Sound mit einem fairen Preis Leistungsverhältnis. Der Nachteil ist, dass diese Röhren zum einen etwas größer sind – was dem Klang allerdings zugute kommen soll – und zum anderen mit Ihrem Oktalsockel (entspricht dem von Endröhren wie zum Beispiel 6l6gc) nicht pin-kompatibel mit gängigen 12ax7/12at7 Typen sind. Will man diese Stahlröhren verwenden muss man sich also entweder einen sehr alten Gibson Verstärker wie zum Beispiel den GA50 zulegen, oder eben einen maßgeschneiderten Verstärker bauen lassen, der moderne roadtaugliche und zuverlässige Technologie mit der unerreichten Qualität der historischen Stahlröhren vereint.

Havelstar ist der einziger mir bekannter Röhrenamp Spezialist, der explizit auf alte Verstärkerkonzepte und entsprechende NOS Röhren zurückgreift und weiterentwickelt.

Dass historische Stahlröhren mit ihren etwas runderen und volleren Klang den Ansprüchen der Jazzgitarristen entgegenkommen, zeigt die Verstärkerwahl von Jim Hall, Barney Kessel, Howard Roberts oder Tal Farlow – sie alle haben in den fünfziger und sechziger Jahren auf einen Gibson GA50 zurückgegriffen, der eben genau diese Stahlröhren in der Vorstufe beherbergt. Der GA50 wurde nur Ende vierziger und Anfang der fünfziger Jahre hergestellt und selbst wenn es einem gelingt ein gut erhaltenes Exemplar aus den USA zu importieren ist zuallererst ein Einbau eines 230 Volt Trafos erforderlich und dann folgen aufwendige Restaurierungen, für die man hierzulande kaum einen erfahrenen Experten finden wird, der wirklich Geduld mit alten Gibson Verstärkern hat. Ich besitze einen alten Gibson GA20 Verstärker aus den fünfziger Jahren, der zu fragil für Gigs ist, zu früh verzerrt und sicherheitstechnisch wahrlich nicht auf dem aktuellsten Stand ist. Der Sound bei geringen Lautstärken ist aber überzeugend und entspricht meinen jazzgitarristischen Vorstellungen eines guten Gitarrensounds. Die Alternative, die viele Fans des Fender Deluxe praktizieren, ist es, sich einen entsprechenden Klon bei einem der exquisiten Ampbauer wie Thomas Carlitz, Audio Amp, etc. zu besorgen.

 Der einzig mir bekannte Spezialist für Gibson Verstärker ist in allerdings in den USA beheimatet, versteht sich auf Restaurierungen alter Originale und baut unter dem Firmennamen „Buffalo Amps“ eigene Kopien der alten Gibson Klassiker.

Havelstar stellt hier im Kreis der Amphersteller eine Ausnahme dar – der Firmengründer Andreas Vock hat sich für den zum Test vorliegenden 7027 Amp als auch bei der Entwicklung seiner anderen Verstärkermodelle intensiv mit den klanglichen Vorteilen alter Röhrentechnologie auseinander gesetzt.

 

Vorteil einer „Topteil plus Box Lösung“

 Ja, auch ich stehe auf die Kombination „Fender Twin plus Gibson L5“ – aber trotzdem bleibt der Fender Amp inzwischen zu Hause da er mir einfach zu schwer ist.

Die Lösung für mich besteht aus Amp-Topteil plus separate Lautsprecherbox. Beides zusammen ist immer noch leichter als ein Fender Twin - dessen Leistungsreserven ich eh nie ausnutzen konnte - und da man Top und Box jeweils bequem mit einer Hand gleichverteilt tragen kann, muss man sich auch nicht einseitigen Belastungen aussetzen. Zudem bietet sich die Möglichkeit, bei kleinen und engen Gigs auch mal die Box oben auf das Topteil zu stellen um sich den extra „Ampstuhl“ zu sparen. Ein weiterer Vorteil liegt in der Kombination von verschiedenen Boxen bzw. Lautsprechern mit dem Topteilen um gezielt an den Gitarrentyp oder den Veranstaltungsort anzupassen.

Durch eine zweite Box kann man bei größeren Gigs auch mal ein 2 mal 12“ Setting bereitstellen und auch mit unterschiedlichen Lautsprechern und Größen experimentieren – die dabei erzielbaren Sounds unterscheiden sich enorm.

Als sehr praxistauglich erweist sich die Top plus Box Lösung auch im Studio: Unter Verwendung eines langen Boxenkabels kann man das Speakercabinet sehr gut in einen anderen Raum verfrachten. Bei Gitarrenkabel – also den ganzen Amp plus Box in einen anderen Raum zu verfrachten - ist das nicht ohne Signalverlust bzw. Buffer möglich.

 

Bestellung und Kontakt

Ein erstes Telefonat mit Havelstar Firmengründer und Entwickler Andreas Vock ergab, dass er tatsächlich bereits vor einigen Jahren einen Verstärker im Stile der alten Gibson Röhrenverstärker konstruiert und gebaut hatte. Zentral ist dabei die Verwendung amerikanischer NOS Stahlröhren des Typs 6N7,6C5 oder 6J5 aus den fünfziger Jahren der Firmen Ken Rad, General Electric oder RCA. Andreas stellte viele Fragen bezüglich des verwendeten Gitarrentyps, meiner Soundvorstellung, der verwendeten Pickups, der Reglerstellungen bei anderen von mir benutzten Amps, etc.

Für mich war im Vorfeld sehr wichtig, dass das Basswiedergabeverhalten des Havelstar Verstärkers auf meine Gibson L5 CES oder ähnlichen Gitarre abgestimmt ist – viele moderne Verstärker sind wie bereits erwähnt primär auf Solidbody E-Gitarren ausgelegt. An vielen aktuellen Fender Amps klingt zwar die Tele super, aber die Jazzgitarre kommt dem Kontrabassisten mit voller Wucht viel zu stark in die Quere. Gerade alte Aufnahmen von Howard Roberts oder Barney Kessel zeigen Sounds, die in den Bässen nicht mulmen und immer klar konturiert sind. Zudem sollte die Vorstufe dem kräftigen Output meiner L5 gewachsen sein und völlig verzerrungsfreie Sounds liefern können. Der Verstärker sollte einen glockigen vollen Grundton ohne aufdringliche Höhen produzieren und sollte so wenig Regler wie möglich aber auch so viele wie nötig haben.

Zu guter letzt war mir wichtig, dass der Verstärker keine Nebengeräusche erzeugt - auch bei extrem ruhigen Gigs darf nichts außer dem gewollten Gitarrensound aus dem Amp kommen.

Die Bestellung wurde mit einigen Designwünsche abgeschlossen und von dort an hat mich Andreas in den 6 Wochen bis zur Fertigstellung des Amps über dessen Baufortschritte auf dem Laufenden gehalten.

Test:

Ich besitze den Havelstar 7027 nun seit einem Jahr und spiele inzwischen praktisch alle meine Gigs mit genau diesem Verstärker. Im Laufe dieses Jahres hat sich eine relativ kleine (etwas größer als ein Polytone) Tubetown Box, die mit einem 100 Watt Jensen Jet AlNiCo Lautsprecher bestückt ist als die für mich erste Wahl für den 7027 herauskristallisiert. Allerdings gefällt mir auch eine Mojo Box mit einem Tone Tubby AlNiCo Speaker sehr gut. Im Studio hat sich der Verstärker ebenfalls bewährt, so dass ich die kompletten Aufnahmen für die „It´s your Delusion“ CD von Cool Motion ausschließlich in der Kombination Gibson L5, Havelstar 7027 und Tube Town Box eingespielt habe – und das, obwohl ein Gibson GA20, ein Fender Pro Reverb, ein Valvetech Superlux Reverb, ein Frenzel Super Deluxe, mehrere Polytones und ein AER Compact 60 zur Wahl bereitstanden!

Der 7027 belohnt den Archtop Spieler mit einem warmen, fetten und höchst dynamischen Ton, der in dieser Qualität bestimmt nicht aus einem Polytone, AER oder ähnlichem rauszuholen ist. Der leicht nasale, glättende und etwas adynamische Grundton eines Polytones ist dem 7027 völlig fremd, genauso wie die etwas nervige Betonung des „Ü“ Formanten, wie sie zuweilen in der Kombination von Gibson Jazzgitarre mit Fender Amp vorkommen. Anders ausgedrückt: Der 7027 vereint die Vorzüge von Polytone und Fender ohne typischen Schwächen dieser Amps.

Der 7027 produziert einen Sound der sehr wohl Assoziationen mit den Klassikern von Gibson und Fender aufkommen lässt, ohne aber bloß ausgetretene Wege einzuschlagen. Dem 7027 hört man mit jeder Note seinen eigenen Charakter an. Und dieser Ton ist sehr dynamisch, groß und dicht und bewegt sich in einem für Jazzer geradezu perfekten Frequenzspektrum. Und diese Qualitäten stellt er auch und vor allem auf der Bühne sei es in kleinsten Besetzungen (Duo mit Saxophon oder Trio mit Kontrabass) oder großen Bands (im Sextett mit 2 Saxophonen und Posaune plus Drums und Kontrabass) häufig unter Beweis - der Sound bleibt stabil, setzt sich gut durch und klingt nicht alle paar Meter anders. Überhaupt habe ich die Erfahrung gemacht, dass der 7027 sehr unempfindlich auf wechselnde Räumlichkeiten reagiert – er klingt eigentlich immer gleich gut. Eine Eigenschaft die sonst nur bei meinem von Larry Grohmann getunten (Blackfacing und NOS Röhren) Fender Pro Reverb kenne.

Interessanterweise spiele ich beim 7027 viel lieber als mit anderen Amps im tieferen Register der Gitarre, da die Basssaiten viel präziser ohne an Druck oder Durchsetzungskraft oder gar an Wärme zu verlieren abgebildet werden. Hier zeigt sich einmal mehr, dass der Amp doch als ein Instrument verstanden werden muss, das sich auch auf die Frage was und in welchem Register man auf der Gitarre spielt auswirkt.

Singlenote Lines und Akkord Soli werden über den 7027 sehr ausgewogen übertragen, so dass man nach einem akkordischen Teil im Solo nicht das Gefühl hat, dabei für den Rest des Solos bleiben zu müssen, weil Single Lines es nichtmehr mit den zuvor gespielten Blockakkorden aufnehmen könnten. Im Gegenteil: bei diesem Amp macht es sehr viel Spaß zwischen Akkorden und Lines fließend zu wechseln. Nichts sticht unangenehm hervor oder verkümmert weil es nur ein Ton ist und trotzdem reagiert der Amp sehr dynamisch auf den Spieler und Variationen im Anschlag.

Insgesamt habe ich das Bedürfnis, das Tonepoti der Gitarre bei weitem weniger stark zuzudrehen als das bisher bei anderen Verstärkern der Fall war. Entsprechende Spielweise und Technik vorausgesetzt wird man mit einem sehr direkten, durchsetzungsfähigen und glockigen Ton belohnt, der dennoch die beliebten „Glitzerlies“, also jenen als angenehm empfundenen hochfrequenten Anteilen im Sound, nicht vermissen lässt. Dennoch ist der Sound frei von harschen Höhen. Zumindest erging es mir so, dass ich diese Höhenanteile dank des 7027 auch beim Hören einiger Kenny Burrell, George Benson und Barney Kessel Platten wieder entdeckt habe. Ein wohlig holziger, mellow tönender und warmer Jazzsound entsteht nicht zwangsläufig, indem man die Höhen an der Gitarre und am Amp herausdreht (dadurch verliert man erfahrungsgemäß im Bandkontext sehr an Durchsetzungskraft und Definition), sondern er entsteht meiner Erfahrung nach eher durch entsprechenden Anschlag der Saiten (bei kleinen Unsauberkeiten hört man auch bei Kenny Burrell, dass der Amp sehr wohl viele Höhen überträgt) und einer Gitarre, Verstärker und Lautsprecher Kombination, die diese Glitzerlies und schmelzenden Höhen überträgt ohne den harschen und rauen Anteil (über) zu betonen. Der 7027 verhält sich hier vorbildlich. Er ist durchaus in der Lage, Höhen wieder zu geben, allerdings nur diejenigen, die mich im Spiel alleine, in der Band oder im Studio niemals stören würden.

Fazit

Grundsätzlich hat sich für mich die Trennung von Amp und Box sehr bewährt insbesondere durch die tolle Arbeit von Havelstar. Durch die Trennung von Amp und Box wird der Rücken geschont, man kann mit verschiedenen Lautsprechern und Boxen experimentieren, besitzt man mehrere Boxen, kann man eine den Spezifika des Gig entsprechende Box auswählen und beim Kauf eines Zweit- oder Drittverstärkers muss man nur mehr ein Topteil erwerben. Am Rande sei erwähnt, dass es ja auch von Acoustic Image oder Polytone Topteilversionen gibt; man muss also dann nicht zwangsläufig auf Röhrenverstärker zurückgreifen.

Der Havelstar 7027 Verstärker hat sich in meiner einjährigen Testphase bei vielen Gigs und auch bei Aufnahmen als ein grandioser und völlig unproblematischer Amp erwiesen, der mich dazu bewogen hat, dass ich meine anderen Amps inzwischen daheim lasse. Ich kann jedem interessierten wärmstens empfehlen sich mit Andreas Vock in Verbindung zu setzen. Er findet bestimmt Lösungen für individuelle Soundbedürfnisse. Ganz klar vereint der 7027 von Havelstar die Vorzüge eines Polytones und richtig guten Röhrenverstärkers. Die typischen „Problemchen“ der jeweiligen Klassiker sind dem Verstärker dabei völlig fremd und oben drauf ist er auch noch auf die/meine Archtopbedürfnisse abgestimmt.

Und für alle diejenigen, die gelegentlich mal einen Hall möchten, kann ich wärmstens das Plush „Good Verbrations“ Pedal empfehlen. Es ist nicht ganz billig, bietet aber einen wundervollen Halleffekt ohne den Grundsound der Gitarre zu beeinträchtigen und verzichtet auf jeglichen Schnick-Schnack: Input, Output, Netzteil, Hallstärke und Halldauer – fertig.

Soundbeispiel

Technische Daten:

1 Kanal in Vollröhrentechnik

6G4 Zweibandklangregelung

Röhrengleichrichtung

Röhrenbestückung: 2 x 7027, 1 x 5AR4, 1 x 6N7, 1 x 6C5 , 1 x 6J5

Lautsprecherimpedanz 4 / 8 Ohm

TT-Gehäuse MBL Panama Black

Maße: 48 x 26,5 x 30 cm (L/H/T)

Gewicht: ca. 10,5 kg

Lieferzeit ca. 6 Wochen

Preis: 998,00 €


von: Stefan Degner