Evans RE 200

Die Verstärker der Firma Evans sind in den USA besonders bei Pedal Steel Guitar- Spielern verbreitet, erfreuen sich aber auch unter Jazz Gitarristen großer Beliebtheit. Hierzulande sind diese Amps eher selten anzutreffen, sehr zu unrecht wie ich finde und Grund genug für einen kleinen Erfahrungsbericht.

Das im Folgenden beschriebene Modell "RE 200" wurde unter Einbezug einiger Vorgaben des Gitarristen Ron Escheté entwickelt und stellt die kleinste der drei verfügbaren Combo- Varianten dar. Die Verstärkereinheit ist bei allen Evans- Modellen stets die selbe, es sind neben diesem Modell noch ein Mini- Topteil sowie eine 12"- und 15"- Combo- Version erhältlich, die sich jeweils nur in der Lautsprecher- Bestückung und damit auch in der Konstruktion des Gehäuses unterscheiden.

Konstruktion:

Der erste optische Eindruck lässt im Gegensatz zur modernen Konzeption des Verstärkers eher auf eine klassische Konstruktion schließen, auch die insgesamt außergewöhnlich penible Verarbeitung des mit Tolex bezogenen Holz- Gehäuses samt edlem Echtleder- Griff hebt den Amp bereits optisch von vielen kompakten Transistorverstärkern anderer Hersteller ab. Verglichen mit der Haptik einiger Konkurrenz- Produkte aus dem gleichen Herkunftsland bewegt sich der Evans eindeutig in High End- Gefilden. Der 10" Deltalite Neodymium- Speaker von Eminence befindet sich hinter einer verschraubten Rückwand zwischen der oben montierten Vorstufe und der 200 Watt leistenden Endstufe, die auf dem Gehäuseboden installiert ist. Es besteht die Möglichkeit einen Zusatzlautsprecher anzuschließen, außerdem gibt es einen Line Out, einen nicht regelbaren Einschleifweg sowie einen Kopfhöreranschluss. An der Unterseite des Gehäuses befindet sich ein kleiner Klappbügel mit dessen Hilfe man den Amp schräg stellen kann. Eigentlich seltsam, dass vorher noch niemand auf diese simple Idee gekommen ist, denn das funktioniert in der Praxis ausgezeichnet. Die Abmessungen betragen 36 x 43 x 24 cm (BxHxT), der Evans ist somit etwas kleiner als ein Polytone. Zum Lieferumfang gehört eine robuste Kunstlederhaube.

Bedienung und Klang:

Die Reglerbezeichnungen sind teilweise etwas ungewöhnlich, erklären sich aber von selbst, sobald man einmal verstanden hat, wie diese (überwiegend interaktiv) funktionieren. Neben zwei unterschiedlich ausgelegten Eingängen (Normal oder +6db) und den üblichen Volume- und Master- Reglern findet man zunächst die gewohnten Potis zur Klangregelung vor, wobei die Mitten hier getrennt für den oberen ("Body") und den unteren Bereich ("Depth") regelbar sind. Letzteres Poti zeigt allerdings erst dann Wirkung, wenn "Body" zwischen 2-3 und darüber hinaus eingestellt ist. Gerade bei Feedback- Problemen mit einer akustischen Archtop kann man mit dieser sehr effektiven Mittenregelung so manches ungewollte Pfeifen verhindern ohne auf ein vernünftiges Bassfundament bei höheren Lautstärken verzichten zu müssen. Ein mit "Buff" bezeichneter Regler fügt dem Sound ein sehr angenehmes Höhenspektrum hinzu, die Wirkungsweise ist jedoch nicht vergleichbar mit der eines Treble- Potis. Hier erfolgt keine Zunahme scharfer Höhen, stattdessen erhält der gesamte Sound einen gewissen "Glanz" bei zunehmender Fülle und Wärme. Die Bedienungsanleitung spricht von "Röhren- ähnlichen Obertönen", das trifft es vielleicht ganz gut, ist aber doch schwer zu beschreiben und ein vergleichbares Feature ist mir auch von keinem anderen Amp bekannt. Der Schalter "Expand" (an dessen Stelle bei den aktuellen Modellen ein regelbares Mini- Poti getreten ist) ist dagegen eindeutig ein Boost- Schalter, der sowohl auf den Höhen- als auch auf den Bassbereich wirkt, im Archtop- Kontext wird er wohl in den meisten Fällen ausgeschaltet bleiben. Neben dem Reverb Regler auf der Vorderseite befindet sich auf der Rückseite noch ein Dwell Poti für den sehr natürlich klingenden Digital- Hall, sowie ein Preset Schalter für eine Kombination aus Hall und Chorus bzw. Hall und Flanger. Beide Effekte würde ich mal als kostenlose Dreingabe bezeichnen, denn das geht beispielsweise mit einem guten Pedal besser, es hängt aber natürlich davon ab in welcher Form und wie häufig man solche Effekte einsetzt und ist von daher eben auch Geschmacksache.

Wer jetzt befürchtet, dass man mit diesem Verstärker nur nach stundenlangem Herumschrauben an den Potis zu guten Ergebnissen kommt, der kann beruhigt sein. Obwohl alle Regler sehr effektiv arbeiten kommt man selbst bei extremen Einstellungen (Treble einmal ausgenommen, hier ist Vorsicht geboten) immer zu absolut überzeugenden Ergebnissen, eine gut klingende Gitarre vorausgesetzt. Und damit sind wir beim vielleicht wichtigsten Punkt: der Evans überträgt jede Gitarre mit ihren spezifischen Eigenschaften und Besonderheiten zwar sehr nuanciert, ohne dabei aber gänzlich neutral zu klingen. Es ist immer eine deutliche Spur Amp- Sound im Spiel, der aber (eine gewisse Lautstärke vorausgesetzt) erstaunlich nahe an einem guten Fender- Combo ist. Solche Vergleiche müssen natürlich immer in Relation zur Größe des Gehäuses und zum Lautsprecher gesehen werden, aber es ist schon sehr beeindruckend, welches Volumen und welche Wärme dieser Amp trotz seines 10"- Speakers und seiner digitalen Endstufe zu Gehör bringt. Zudem "fühlt er sich gut an", denn dieser Verstärker arbeitet immer mit der Gitarre zusammen, wird quasi zum Teil des Instruments. Übersteuerungen durch Vor- oder Endstufe sind ausgeschlossen, auch die Lautstärkereserven sollten für die meisten Besetzungen mehr als ausreichend sein, zumal auch das Durchsetzungsvermögen dieses Amps unabhängig vom Pegel eine besondere Qualität hat. Übrigens versteht sich der Evans nicht nur mit Archtops, er vermag auch diverse Solidbody- Gitarren mit ihren jeweiligen Charakteristika sehr authentisch und überzeugend wiederzugeben.

Fazit:

Wer es so akustisch und neutral wie möglich mag, wird wahrscheinlich einem AER den Vorzug geben. Derjenige, der einen wirklich schönen und ausgesprochen musikalischen Mix aus natürlichem Gitarren- und Ampsound ohne Polytone- Einschlag anstrebt, wird hier jedoch erstklassig bedient. Der Evans RE 200 gehört für mich zu den besten Kompromissen zwischen Transportabilität und Sound, die momentan erhältlich sind. Klang- und Verarbeitungsqualität sind über jeden Zweifel erhaben, lediglich die Bedienung ist auf den ersten Blick etwas ungewöhnlich, was aber bereits nach sehr kurzer Beschäftigung mit dem Amp kein wirkliches Manko mehr darstellt. Der Verstärker verrichtet seinen Dienst inzwischen seit gut drei Jahren unter allen denkbaren Bedingungen im Bühnenalltag ohne jegliche Beanstandung, so dass ihm auch eine sehr hohe Zuverlässigkeit bescheinigt werden kann. Erhältlich sind die Evans- Verstärker entweder direkt beim Hersteller oder über den deutschen Importeur WBS.

www.evansamps.com    www.wbssteelguitars.com

von: Andreas Behringer