Höfner Chancellor 17"

Seit Höfner zu Beginn der 50er Jahre mit dem Bau von Archtop-Gitarren begann, waren die Modelle der Firma immer wieder auch für eine Überraschung gut; das neue Flagschiff der Archtop-Serie, die Chancellor (17´´) wurde mir zum Test von der Music-Factory in Eschwege für eine Woche zur Verfügung gestellt (vielen Dank lieber Peter Klebe!).

Auffällig nach Öffnen des Koffers ist das sehr gediegene Finish der Gitarre, das sogenannte “Violin-Finish” in leichtem sunburst, das die Maserung der Decke dezent aber noch ausreichend deutlich hervortreten lässt. Und dann Überraschung Nr. 1: Wenn man die Gitarre aus dem Koffer nimmt, fällt sogleich das außergewöhnlich geringe Gewicht der Gitarre auf. Dies wird erreicht durch eine recht konsequente Einsparung von Metall und einer auf akustische Eigenschaften gezielten Bauart.

Aber nun generell zur Konstruktion: Die Gitarre besteht durchweg aus massiven Hölzern; Decke Fichte, der Rest des Korpus aus Ahorn. Die Decke hat eine recht starke Wölbung und eine enge Maserung. Die Verarbeitung kann sich sehen lassen.

Vor allem das mehrfache schwarze Kunstoffbinding des Korpus ist ein echter Hingucker und passt optisch ausgezeichnet zum dunklen Finish aus traditioneller Geigen-Schellack-Politur (ohne Aufpreis!!!). Aus dem Geigenbau hat man auch weitere Konstruktionsmerkmale entlehnt. So befindet sich im Inneren der Gitarre ein Tonbalken, der parallel zur Besaitung läuft, auch fehlt die traditionelle Bebalkung einer “normalen” Archtop. Statt dessen befinden sich in regelmäßigem Abstand aufgeleimte Rechtecke. Der Hals besteht, ebenfalls wie bei einer Geige oder einem Cello, aus einem einstreifigem Stück Riegelahorn. Im Ebenholzgriffbrett befinden sich 22 perfekt abgerichtete Bundstäbchen mittlerer Stärke.

Weitere Details: Zweiteiliger Steg aus Ebenholz, Sattel aus Knochen, Ebenholzsaitenhalter - und Schlagbrett. In diesem befinden sich auch die Regler für Volumen und Tone, womit wir bei der Elektrik angekommen sind:

Der kleine Humbucker ist, obwohl schwebend am Halsende montiert, in einem Rahmen eingelassen, was den Vorteil einer Höhenverstellung hat. Zusätzlich mit den einzeln einstellbaren Polepieces des PUs ist dies ein kleines, aber durchaus wichtiges Detail für Spieler, die auch noch das letzte bisschen an Soundeinstellung aus ihrer Gitarre herausholen möchten. Wer einmal seine Archtop mit verschieden eingestellten Polepieces und Saitenabstand aufgenommen hat, weiß, wovon ich spreche.

Die Bespielbarkeit des Instrumentes ist ausgesprochen gut, man gewöhnt sich sehr schnell an das “Feeling” des Halses. Sehr interessant ist, dass das Shaping des Halses nicht ganz symmetisch ist. Zur Daumenseite ist der Hals eher D-förmig, an der Unterseite zeigt sich ein dezentes C-Profil.

Der akustische Klang der Gitarre ist natürlich geprägt durch die bereits oben erwähnte akustische Ausrichtung der Kontruktion. Überraschung Nr. 2 ist, dass das ansonsten bei vielen Höfner-Archtops typische leichte “näseln” hier überhaupt nicht vorhanden ist. Der Klang ist eher transparent, trotzdem mit kräftigen, jedoch weichen Mitten und genügend Bässen; ein Sound der der elektrischen Verstärkung alles bietet, was man braucht um “seinen” Archtop-Sound verwirklichen zu können. Über einen AER Acousticube 3 gespielt, zeigt die “Chancellor” dann auch in der elektrischen Disziplin, dass sie sich nicht zu verstecken braucht. Ihre akustischen Klangeigenschaften werden über den Humbucker mühelos umgesetzt und sind leicht in nahezu jede gewünschte Richtung zu regeln. Die Gitarre ist vielseitig einsetzbar, auch mit einem Röhrenverstärker klingt sie amtlich.

Fazit: Liebe zum Detail, durchdachte Konstruktion, hoher Fertigungsstandard, gute Klangqualitäten und ein gutes Preis-Leistungsverhältnis (3.795,00 Euro inkl. Koffer) kennzeichen die Chancellor, die mit zum allerbesten zählt, was von Höfner je gebaut wurde und tritt damit in die Fußstapfen der legendären “Golden Hofner”. Ob akustisch oder elektrisch, die Gitarre wird ihren Besitzer nicht enttäuschen und unterstützt durchaus eine mögliche klangliche und stilistische Vielfalt ihres Spielers. Sie ist ein völlig angemessenes Instrument für den professionellen Einsatz, das auch einem Nicht-Profi entgegenkommt: Leicht spielbar, schnell beherrschbar und nimmt willig Nuancen des Spieles an, ohne diese zu “überziehen”.

von: Andreas Polte, 11.07.2006